„Schwarmorganisation“ als natürliches ordnendes Prinzip
Was ist Schwarmintelligenz und wie entsteht sie? Wie können wir von der Weisheit der Natur lernen, uns selbst zu organisieren? Um diese Fragen geht es in diesem Beitrag.
Seit jeher haben sich Menschen in Stämmen zusammengeschlossen mit Gruppengrößen von etwa fünfzig Menschen und einem engen sozialen Zusammenhalt - meist Familiengruppen. Stämme wurden hierarchisch geführt, zum Beispiel von einem „Stammältesten“.
In der Tierwelt kommen organisierte Gruppen mit mehr als 150 Individuen nicht vor. Dann bilden sich entweder Herden oder Schwärme. Herden bestehen aus Familiengruppen von insgesamt 500 bis 6.000 Individuen, die sich z.B. für den Umzug in eine andere Umgebung zusammenschließen, um dort Nahrung zu finden. Schwärme können aus 200 bis 100 Millionen Individuen ohne familiäre Verbindungen bestehen und sind völlig selbstorganisiert (z.B. Fische und Vögel).
Der Mensch hat sich im Industriezeitalter mehr und mehr von den Naturgesetzen entfernt. Um die Massenproduktion in Fabriken zu ermöglichen, wurden große hierarchische Organisationen oft mit Tausenden von Mitarbeitern und vielen hierarchischen Schichten ausgestattet, um die Kontrolle zu behalten. Nicht nur Fabriken wurden hierarchisch organisiert, sondern auch der Dienstleistungssektor, der Verwaltungsapparat, das Bildungssystem und gesellschaftliche Organisationen.
Je größer und komplexer die Welt aufgrund der zunehmenden Globalisierung wurde, desto weniger kontrollierbar wurde sie. Dies führte jedoch nicht dazu, dass diese Kultur von Managment und Kontrolle überdacht wurde, sondern zu noch mehr Management und noch mehr Kontrolle. Der Mensch dachte, er stehe über den Naturgesetzen.
Der Widerstand gegen Misstrauen und Kontrolle hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark zugenommen, so dass sich viele Menschen vom derzeitigen sozialen System abwenden. Einige von ihnen sehen Anarchie als einzigen Ausweg und versuchen, als Individuum oder kleine Gruppe autonom und souverän zu werden.
Die Natur bietet eine Alternative zu Hierarchie oder Anarchie. Ein Schwarm ist eine Gruppe autonomer Individuen, die sich selbst organisieren, einem starken inneren Antrieb folgen und freiwillig zusammenbleiben, weil sie gemeinsame Ziele verfolgen.
Schwarmintelligenz
Ein einzelner Fisch ist dumm, aber ein Schwarm aus vielen Fischen zeigt intelligentes Verhalten. Diese Intelligenz, die in einem großen Kollektiv entstehen kann, wird als „Schwarmintelligenz“ bezeichnet. Sie ist größer als die der einzelnen Mitglieder. Die Intelligenz des Schwarms hängt mit der Anzahl der Verbindungen innerhalb des Schwarms zusammen, je größer der Schwarm ist, desto intelligenter. Dieses Phänomen zeigt sich auch an vielen anderen Stellen in der Natur, zum Beispiel im Gehirn: je zahlreicher und aktiver die neuronalen Verbindungen, desto intelligenter ist das Lebewesen.
Kleinere Gruppen, wie z.B. Stämme, haben auch Gruppenintelligenz, aber durch die geringe Anzahl von Individuen in einem Stamm ist die Anzahl der Verbindungen begrenzt. Auch Herden entwickeln Intelligenz, aber weniger als ein Schwarm.
Voraussetzung für die Entwicklung sowohl von Schwarmintelligenz als auch von Herdenintelligenz ist, dass sich die Mitglieder des Schwarms an die sechs Organisationsprinzipien eines Schwarms halten. Die Schwarmprinzipien sind so etwas wie ein „internes Betriebssystem“, um gemeinsam schnell agieren und reagieren zu können.
Die 6 Prinzipien natürlicher Schwärme
Die sechs ordnenden Prinzipien natürlicher Schwarmorganisation sind:
1. Selbstorganisation. Der Schwarm besteht aus völlig autonomen Einheiten. Individuen innerhalb des Schwarms sorgen untereinander dafür, dass Prozesse organisiert werden und dass die Aktivitäten der autonomen Einheiten innerhalb des Schwarms aufeinander abgestimmt werden. Es gibt keine höhere Macht, die sagt, was die Mitglieder des Schwarms zu tun haben, also keine Hierarchien.
2. Flexible Rollen. Schwarmorganisation ist auf flexible Rollen mit einem klaren Ziel ausgelegt. Rollen entstehen aufgrund eines aktuellen Bedarfs und sind deshalb auch nicht von Dauer. Die Zuweisung der Rollen erfolgt durch Mitglieder des Schwarms. Mehrere Personen können die gleiche Rolle erfüllen.
3. Gleichzeitiger Generalismus und Spezialismus in den Rollen. Schwarmmitglieder sind Generalisten, die im Grunde alle Rollen erfüllen können. Je nach Bedarf übernehmen sie eine Rolle und die damit verbundene Verantwortung. Darüber hinaus haben bestimmte Mitglieder die Fähigkeit, eine Rolle zu übernehmen, die eine gewisse Spezialisierung erfordert. Der Wechsel von Rollen erfolgt selbstständig.
4. Spiegeln. Alle Mitglieder spiegeln sich im ganzen Schwarm. Bei jedem Mitglied sind die Ziele des Schwarms in den getroffenen Entscheidungen erkennbar. Der Schwarm verhält sich wie ein Organismus.
5. Redundante Verbindungen sichern den Informationsfluss. Mitglieder im Schwarm kommunizieren nicht über feste Ketten. Stattdessen senden und empfangen sie ständig Informationen in alle bzw. aus allen Richtungen, wie bei einem Radiosender und -empfänger. Dieselben Informationen können mehrmals empfangen werden. Es wird oft als Nachteil angesehen, dass viele eingehende Informationen redundant (überflüssig) sind, aber die Vorteile sind, dass wichtige Informationen erhalten bleiben und alle Mitglieder informiert sind.
6. Interne Vielfalt. Mitglieder eines Schwarms zeichnen sich durch eine Vielfalt an Erfahrungen aus. Damit sind Schwärme in der Lage, jegliche Art von Signalen aus der Umgebung aufzunehmen und zu interpretieren, so dass mindestens ein Mitglied weiß, wie darauf zu reagieren ist.
Doch funktioniert das auch bei uns Menschen?
Der wichtigste einschränkende Faktor für das reibungslose Funktionieren eines menschlichen Schwarms und die Schaffung von Schwarmintelligenz sind unsere Prägungen und Erfahrungen. Da wir seit unserer Kindheit gelernt haben, in einer hierarchischen Welt zu funktionieren und nichts anderes kennen, haben wir die Neigung eine Hierarchie zu bilden. Oft geschieht es unbewusst, dass jemand automatisch zum „Häuptling“ ernannt wird oder dass Personen mit einem gewissen Status oder einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur innerhalb einer Gruppe probieren Macht auszuüben. Diese Verhaltensmuster gilt es bewusst zu reflektieren und zu verändern.
Darüber hinaus haben Menschen Eigenschaften, die sie in ihrer Menschlichkeit auszeichnen, wie z.B. Empathie, Hilfsbereitschaft, strategisches Denken, vorausschauendes Planen, Selbstreflexion und Kreativität. Bei der Bildung einer menschlichen Schwarmorganisation sind diese Faktoren zu berücksichtigen.
Das von Evert Bleijenberg entwickelte SWARM-Solution Modell kombiniert die Prinzipien natürlicher Schwärme mit denen menschlichen Verhaltens.
Quelle: Evert Bleijenberg, Swarm Organisation, The vital next step in organisation development. SWARM Organisation, 2021.
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